Arbeitsrecht [26.09.2023]

BGH bestätigt Start­gutschriften­regelung für rentenferne Versicherte in der VBL

Übergangsregelung für rentenferne Versicherte in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes wirksam

Der Bundesgerichtshof hat die Wirksamkeit der im März 2018 erneut geänderten Start­gutschriften­regelung für rentenferne Versicherte der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) bestätigt.

Die VBL hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mit Neufassung ihrer Satzung (VBLS) vom 22. November 2002 stellte die VBL ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31. Dezember 2001 (Umstellungsstichtag) von einem an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgungssystem auf ein auf dem Punktemodell beruhendes, beitragsorientiertes Betriebsrentensystem um. Die VBL stufte damals die Versicherten, die am 1. Januar 2002 noch nicht 55 Jahre alt waren, als "rentenfern" ein und behandelte sie damit schlechter. Der BGH kippte die ursprüngliche Regelung und eine Nachbesserung. Mit Änderungstarifvertrag von Juni 2017 einigten sich die Tarifvertragsparteien darauf, im Rahmen der Ermittlung der Startgutschrift den bisherigen Anteilssatz von 2,25 % durch einen variablen Anteilssatz zu ersetzen. Dieser beträgt, in Abhängigkeit von den Pflichtversicherungszeiten, die der jeweilige Versicherte bis zum Eintritt des 65. Lebensjahrs erreichen kann, zwischen 2,25 % und 2,5 %. Die VBL übernahm diese Neuregelung mit Wirkung zum März 2018 in § 79 Abs. 1 Satz 3 bis 8 ihrer Satzung. Die hiesige Klägerin ist rentenferne Versicherte bei der beklagten VBL und bezieht von dieser seit August 2014 eine Versorgungsrente. Sie hält auch die nochmals geänderte Übergangsregelung für unwirksam und erstrebt eine nach dem vor der Systemumstellung geltenden Satzungsrecht ermittelte Rente, hilfsweise eine abweichende Berechnung ihrer Startgutschrift unter Berücksichtigung verschiedener ihr günstiger Berechnungsgrundlagen und äußerst hilfsweise die Feststellung der Unverbindlichkeit der ermittelten Startgutschrift. Ihre Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die nunmehrige Übergangsregelung für wirksam gehalten und insbesondere einen Verstoß der Startgutschriftenregelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie eine Diskriminierung rentenferner Versicherter wegen ihres Lebensalters und ihres Geschlechts verneint.

Anwendung des Näherungsverfahrens verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz

Der Bundesgerichtshof hat in einer Grundsatzentscheidung die Revision der Klägerin gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die für rentenferne Versicherte getroffene Übergangsregelung wirksam ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine anderweitige Berechnung ihrer Startgutschrift. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass bei der Ermittlung der Startgutschrift für die Berechnung der Voll-Leistung die von der Höchstversorgung in Abzug zu bringende voraussichtliche gesetzliche Rente des Versicherten nicht individualisiert, sondern nach dem bei der Berechnung von Pensionsrückstellungen allgemein zulässigen Verfahren (dem so genannten Näherungsverfahren) zu ermitteln ist. Die Anwendung des Näherungsverfahrens verstößt namentlich nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Zwar kann sich die Anwendung des Näherungsverfahrens im Vergleich zu einer individualisierten Berechnung der fiktiven gesetzlichen Rente ungünstig auswirken. Die mit dieser Ungleichbehandlung im Einzelfall verbundenen Härten und Ungerechtigkeiten sind aber hinzunehmen. Insbesondere bei der Ordnung von Massenerscheinungen und der Regelung hochkomplizierter Materien, wie der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, können typisierende und generalisierende Regelungen zulässig sein. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die ausschließliche Anwendung des Näherungsverfahrens die verfassungsmäßigen Grenzen einer zulässigen Typisierung und Standardisierung einhält.

Anwendung des Näherungsverfahrens bewirkt auch keine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts

Die Anwendung des Näherungsverfahrens bewirkt ferner keine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts. Insbesondere liegt keine unzulässige Benachteiligung weiblicher rentenferner Versicherter vor. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zeigen, dass sich die Anwendung des Näherungsverfahrens nicht auf einen signifikant höheren Anteil der weiblichen Versicherten ungünstig auswirkt. Infolge von Lücken in der Erwerbsbiografie, etwa aufgrund von Kinderbetreuungszeiten, benachteiligte weibliche (und männliche) Versicherte werden zudem dadurch begünstigt, dass bei der Berechnung der Gesamtversorgung zu ihren Gunsten ebenfalls eine lückenlose Erwerbsbiografie unterstellt wird.

Startgutschriftenermittlung als gleitender Anteilssatz nicht zu beanstanden

Aus Rechtsgründen ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass der Startgutschriftenermittlung nunmehr ein gleitender Anteilssatz von 2,25 % bis 2,5 % für jedes Jahr der Pflichtversicherung zugrunde liegt. Durch die Einführung des gleitenden Anteilssatzes können bei einem angenommenen Renteneintritt mit 65 Lebensjahren nunmehr - anders als noch nach der Vorgängerregelung - auch Versicherte mit einem Diensteintrittsalter zwischen 20 Jahren und sieben Monaten und 25 Jahren theoretisch eine Startgutschrift von 100 % der Voll-Leistung und damit die höchstmögliche Versorgung erreichen. Damit entfällt insbesondere die bisherige Benachteiligung von Versicherten mit längeren Ausbildungszeiten, die nach einem Studium oder einer Ausbildung außerhalb des öffentlichen Dienstes üblicherweise bis zum 25. Lebensjahr in den öffentlichen Dienst eintreten. Es verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch bewirkt es eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters, dass Versicherten mit einem Eintrittsalter von mehr als 25 Jahren infolge der Deckelung des Anteilssatzes auf 2,5 % weiterhin die höchstmögliche Versorgung auch theoretisch nicht erreichen können. In Anbetracht eines typischen Erwerbslebens von mindestens 40 Jahren ist es nicht zu beanstanden, dass Versicherte die höchstmögliche Versorgung lediglich unter der Voraussetzung einer erreichbaren Pflichtversicherungszeit von mindestens 40 Jahren erzielen können. Dies gilt auch, soweit diese Versicherten keine Erhöhung der Startgutschrift nach § 79 Abs. 1a VBLS erhalten. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wird die Regelung in § 79 Abs. 1a VBLS lediglich im Hinblick auf das schützenswerte Vertrauen derjenigen Versicherten aufrechterhalten, denen nach der bisherigen Vergleichsberechnung noch ein Zuschlag zusteht.

Auch keine neue unzulässige Ungleichbehandlung wegen des Alters

Der gleitende Anteilssatz bewirkt ferner keine neue unzulässige Ungleichbehandlung wegen des Alters der vor Vollendung des 25. Lebensjahres in den öffentlichen Dienst eingetretenen Versicherten. Zwar fällt für diese Versicherten der gleitende Anteilssatz - begrenzt auf mindestens 2,25 % - desto kleiner aus, je jünger sie in den öffentlichen Dienst eingetreten sind. Das bewirkt jedoch unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien keine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters, sondern wahrt das der betrieblichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst zugrundeliegende Prinzip, die Betriebstreue des Versicherten im öffentlichen Dienst zu honorieren. Die Übergangsregelung für rentenferne Versicherte ist schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit nicht zu beanstanden. Eine einseitige Belastung bestimmter Versichertengruppen wie bei der früheren Übergangsregelung liegt nicht mehr vor.

Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

Arbeitsrecht [26.09.2023]

Kündigung des Arbeits­verhältnisses der Juristischen Direktorin des rbb rechtens

Arbeitsvertrag wegen Vereinbarungen zum nachvertraglichen Ruhegeld "sittenwidrig" und deswegen nichtig

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage der Juristischen Direktorin des RBB gegen die Beendigung ihres Arbeits­verhältnisses abgewiesen.

Die in Folge der Schlesinger-Affäre durch den Rundfunk Berlin-Brandenburg ausgesprochenen Kündigungen sind nun auch in einem dritten Fall vom Berliner Arbeitsgericht bestätigt worden. Damit bleibt auch die Kündigung der vormaligen Juristischen Direktorin Susann Lange zunächst bestehen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Arbeitsvertrag sittenwidrig und nichtig

Der zuletzt abgeschlossene Dienstvertrag sei wegen der darin enthaltenen Regelungen zu einem nachvertraglichen Ruhegeld vor Renteneintritt bereits nichtig. Hierin liege ein grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Hinzu komme, dass die Beklagte als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verpflichtet sei. Es sei daher von einer Sittenwidrigkeit der Vereinbarung auszugehen, die zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages führe.

Kündigung wegen Pflichtverletzungen auch rechtfertigt

Weiter hat das Arbeitsgericht angenommen, auch die vorsorglich ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei wirksam. Für diese lägen mehrere wichtige Gründe vor. Die Klägerin habe zum einen an einem Vertragsschluss zwischen der Beklagten, deren Tochtergesellschaft, der rbb Media GmbH, und deren Geschäftsführer mitgewirkt, in dem diesem eine mehrjährige bezahlte Freistellung mit einem Gesamtvolumen von knapp 880.000,- EUR eingeräumt worden sei. In diesem Zusammenhang sei die Klägerin ihren Hinweispflichten als Juristische Direktorin nicht ausreichend nachgekommen. Zum anderen habe die Klägerin eine sog. ARD-Zulage auch für einen Zeitraum bezogen, in dem die Beklagte den Vorsitz bei der ARD, an den die Zulage anknüpfe, noch gar nicht innegehabt habe. Die Klägerin habe durch entsprechende Initiative gegenüber der vormaligen Intendantin dafür gesorgt, dass ihr diese Zulage unberechtigterweise gewährt worden sei.

Widerklage teilweise stattgegeben

Der Widerklage der Beklagten hat das Gericht teilweise stattgegeben. Es bestehe ein Anspruch auf Rückzahlung der gezahlten ARD-Zulage für den Zeitraum, in dem die Beklagte den ARD-Vorsitz noch nicht bekleidet habe, nicht jedoch für die Zeit danach. Auch einen Rückforderungsanspruch wegen geleisteter Familienzuschläge hat das Arbeitsgericht verneint. Es könne jedenfalls nicht festgestellt werden, ob es nicht auch ohne eine zwischenzeitliche dies-bezügliche vertragliche Änderung bei der bisherigen Praxis der Weiterzahlung der Familienzuschläge verblieben wäre. Weitere Anträge der Klägerin, mit denen diese zukünftige Ruhegeld- und Hinterbliebenen-versorgungsansprüche festgestellt haben wollte, hat das Arbeitsgericht aus prozessualen Gründen abgewiesen. Gegen diese Entscheidung können beide Parteien Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einlegen.

Arbeitsgericht Berlin, ra-online (pm/ab)

Verwaltungsrecht / Vereinsrecht [25.09.2023]

Klagen gegen das vereinsrechtliche Verbot der "Bandidos Motorcycle Club Federation West Central" überwiegend erfolglos

Strafgesetz­widrigkeit für Vereinsverbot ausreichend und verhältnismäßig

Das mit Verfügung des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 7. Juli 2021 ausgesprochene Verbot der "Bandidos Motorcycle Club Federation West Central" (Federation) und ihrer örtlichen Mitglieds-Chapter ist rechtmäßig. Jedoch erstreckt es sich nicht auf die "Bandidos Motorcycle Club Federation Mid Region", die "Bandidos Motorcycle Club Federation North Region" und die "Bandidos Motorcycle Club Federation South Region", die das BMI als identitätswahrende Nachfolge­organisationen der Federation von deren Verbot mitumfasst sieht. Dies hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Im Juli 2021 verbot das BMI die Federation mitsamt 38 benannten Mitglieds-Chaptern als gebietlichen Teilorganisationen, weil sie mit ihren Zwecken und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufe. Die Federation vertrete als Teil des Bandidos MC einen Gebiets- und Machtanspruch im Rockermilieu, der zu bewaffneten und brutalen Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Gruppen - insbesondere mit dem Hells Angels MC in Köln und dem Freeway Riders MC in Hagen - geführt habe. Ihr seien nicht nur die von ihren eigenen Funktionären, sondern auch die von Angehörigen ihrer Mitglieds-Chapter begangenen Straftaten zuzurechnen. Die Federation habe trotz der von ihr beschlossenen Selbstauflösung als verbotsfähiger Verein jedenfalls in Gestalt der Federations Mid, North und South Region als identitätswahrender Nachfolgeorganisationen weiterexistiert. Gegen die Verbotsverfügung haben neben der Federation 157 weitere Kläger Klage erhoben, nämlich 34 Mitglieds-Chapter der Federation, 120 Einzelkläger als Funktionäre der Federation oder Angehörige der Chapter sowie die Federations Mid, North und South Region.

Neugründungen keine identitätswahrende Nachfolgeorganisationen

Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass es sich bei den Federations Mid, North und South Region nicht um identitätswahrende Nachfolgeorganisationen der verbotenen Federation handelt. Hierfür wäre eine offensichtliche Identität in gebietlicher, organisatorischer und personeller Hinsicht erforderlich, die nicht besteht. Die Anfechtungsklagen der verbotenen Federation und der übrigen Kläger hat das Bundesverwaltungsgericht abgewiesen.

Strafgesetzwidrigkeit prägt die Federation insgesamt

Die Federation stellte bei Erlass der Verbotsverfügung ungeachtet des von der Mitgliederversammlung am 18. April 2021 gefassten Auflösungsbeschlusses noch einen verbotsfähigen Verein dar, weil ihre Liquidation in vermögensrechtlicher Hinsicht noch nicht abgeschlossen war. Die Federation hat den Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit verwirklicht. Denn sie haben die kriminalitätsfördernden Strukturen der Federation in die Realität umgesetzt:. durch die Beschaffung von illegalen Waffen sowie durch die Auszeichnung von Chapter-Mitgliedern für Straftaten. Darüber hinaus sind der Federation die von den Angehörigen ihrer Mitglieds-Chapter begangenen Straftaten zuzurechnen, weil es sich bei den Chaptern um gebietliche Teilorganisationen der Federation handelt, die gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG als bloße Gliederungen des Gesamtvereins zu behandeln sind. Die Strafgesetzwidrigkeit prägt die Federation insgesamt, so dass das Verbot verhältnismäßig ist. Für die Verbotsbehörde bestand auch kein Anlass, diejenigen Mitglieds-Chapter von dem Verbot auszunehmen, aus denen heraus keine vereinsbezogenen Straftaten begangen worden sind. Denn diese haben sich nicht in beachtlicher Weise von den strafgesetzwidrigen Zwecken distanziert.

Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

Schadensersatzrecht / Reiserecht [25.09.2023]

Anspruch auf Kostenerstattung für Ersatzbeförderung in Business Class nach Annullierung des Fluges in Economy Class

Fehlende Verfügbarkeit von Plätzen in Economy Class

Wird der ursprüngliche Flug in der Economy Class annulliert und bucht der Reisende eine Ersatzbeförderung in der Business Class, so besteht eine Anspruch auf Kostenerstattung, wenn Plätze in der Economy Class nicht zur Verfügung standen. Dies hat das Landgericht Köln entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Familienvater buchte für sich, seine Ehefrau und den beiden Kinder ein Flug von Deutschland in die USA für Juli 2022. Dieser Flug wurde nachfolgend annulliert. Da die Fluggesellschaft keine Ersatzbeförderung anbot, die Familie am Zielort aber eine Theateraufführung besuchen wollte und der Familienvater einen wichtigen Termin hatte, buchte der Familienvater eigenmächtig eine alternative Flugverbindung. Jedoch war für vier Personen nur noch in der Business Class zusammenhängend Sitze verfügbar, während in der Economy Class nur noch ein Sitz buchbar war. Der Familienvater buchte daher die Sitze in der Business Class und verlangte von der Fluggesellschaft die Erstattung der dadurch entstandenen Kosten in Höhe von fast 21.000 €.

Anspruch auf Erstattung der Ticketkosten für Business Class

Das Landgericht Köln entschied zu Gunsten des Klägers. Ihm stehe gemäß § 280 Abs. 1 i.V.m. Art 12 Abs. 1 der Fluggastrechteverordnung ein Anspruch auf Erstattung der Ticketkosten für die Business Class zu. Dem stehe nicht entgegen, dass der gebuchte Ersatzflug in der Business Class erfolgte und damit höherwertig war als der bei der Beklagten gebuchte Flug in der Economy Class. Der Kläger habe dargetan, dass nur die gebuchte Flugverbindung verfügbar war. Dass es günstigerer Flugverbindungen gab, habe die Beklagte nicht vorgetragen.

Keine Aufteilung der Familie zwischen Economy und Business Class

Der Kläger sei nach Auffassung des Landgerichts auch nicht verpflichtet gewesen, die Familie dahingehend aufzuteilen, dass eine Person die Economy Class reist und die übrigen in der Business Class. Dies sei für den Kläger und seiner Familie unzumutbar gewesen.

Entgegengesetzte Entscheidung:
Annullierung eines Flugs in Economy-Class rechtfertigt nicht Buchung eines Ersatzfluges in Business-Class (Landgericht Landshut, Beschluss - 14 S 3021/17 -)

Landgericht Köln, ra-online (vt/rb)

Öffentliches Baurecht / Gaststättenrecht [25.09.2023]

Genehmigung zum Betrieb einer Cocktailbar umfasst nicht Betrieb einer Shisha-Bar

Nutzungsuntersagung wegen fehlender Genehmigung der Nutzungsänderung

Die baurechtliche Genehmigung zum Betrieb einer Cocktailbar umfasst nicht den Betrieb einer Shisha-Bar. Die zuständige Behörde kann daher eine sofortige Nutzungsuntersagung wegen fehlender Genehmigung der Nutzungsänderung aussprechen. Dies hat das Verwaltungsgericht Hannover entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Juni 2023 erhielt der Betreiber einer Shisha-Bar in Niedersachsen eine sofortige Nutzungsuntersagung. Hintergrund dessen war die Ansicht der Baubehörde, dass der Betrieb der Shisha-Bar nicht von der baurechtlich genehmigten Nutzung einer Cocktailbar umfasst sei. Der Barbetreiber sah dies anders und beantragte Eilrechtsschutz.

Betrieb einer Shisha-Bar stellt genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar

Das Verwaltungsgericht Hannover entschied zu Gunsten der Behörde. Die Nutzungsuntersagung sei rechtmäßig. Es liege eine formelle Baurechtswidrigkeit vor. Der Betrieb eines als Cocktailbar genehmigten Etablissements als Shisha-Bar stelle eine von der Baugenehmigung nicht gedeckte Nutzungsänderung dar. Es liege keine bloße baurechtlich irrelevante Nutzungsintensivierung vor, da das Angebot von Shishas durch den Kohlenstoffmonoxidausstoß sowie einer gegebenenfalls erhöhten Brandgefahr eine andere Qualität aufweise.

Formelle Baurechtswidrigkeit ausreichend für Nutzungsuntersagung

Die formelle Baurechtswidrigkeit sei ausreichend, so das Verwaltungsgericht, um eine Nutzungsuntersagung zu rechtfertigen. Dies gelte zwar dann nicht, wenn die Genehmigungsfähigkeit der Nutzung offensichtlich ist. So liege der Fall hier aber nicht. Der Betrieb als Shisha-Bar sei mit Blick auf die Prüfung des Brandschutzkonzeptes und des entstehenden Kohlenmonoxids nicht offensichtlich genehmigungsfähig.

Verwaltungsgericht Hannover, ra-online (vt/rb)

Arbeitsrecht [25.09.2023]

Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung wirksam

Keine vorherige Abmahnung erforderlich

Das Arbeitsgericht Berlin hat die fristlose Kündigung eines bei einer Bundesbehörde beschäftigten Arbeitnehmers wegen des Vorwurfs, dieser habe vorsätzlich die unbekleideten Brüste einer Arbeitskollegin ohne deren Einwilligung berührt, für wirksam erachtet.

Die Kollegin des Arbeitnehmers und hiesigen Klägers hatte diesem gegenüber über Rückenschmerzen geklagt. Mit ihrer Einwilligung berührte der Kläger, der hinter der Kollegin saß, zunächst ihren Rücken, der nach Hochschieben ihrer Oberbekleidung und Öffnen des BH unbekleidet war, um diesen abzutasten. Die Bundesbehörde hat behauptet, der Kläger habe sodann ohne Einverständnis der betroffenen Kollegin seine Hände unter deren BH geschoben und auf ihre unbekleideten Brüste gelegt.

Abmahnung entbehrlich

Nach persönlicher Anhörung des Klägers und Vernehmung der betroffenen Kollegin als Zeugin hat das Arbeitsgericht die Angabe des Klägers, es habe sich um ein unbeabsichtigtes seitliches Streifen der Brüste bei dem Versuch, den BH wieder zu schließen, gehandelt, für eine Schutzbehauptung gehalten. Die Schilderung der Kollegin sei hingegen glaubhaft. Anhaltspunkte dafür, die Kollegin wolle den Kläger zu Unrecht einer sexuellen Belästigung bezichtigen, hat das Arbeitsgericht nicht erkennen können. Wegen der Schwere der Pflichtverletzung, die möglicherweise sogar strafrechtlich relevant sei, sei eine Abmahnung entbehrlich. Die Abwägung der Interessen der Arbeitgeberin einerseits und des nur noch außerordentlich kündbaren Klägers andererseits falle trotz der 19-jährigen Dauer des Arbeitsverhältnisses zu dessen Lasten aus. Gegen das Urteil kann der Kläger Berufung zum Landesarbeitsgericht einlegen.

Arbeitsgericht Berlin, ra-online (pm/ab)

Schadensersatzrecht [22.09.2023]

Reiseveranstalter an zu günstig berechneten Reisepreis gebunden

Kalkulationsirrtum rechtfertigt keine Anfechtung des Reisevertrages

Im Streit um Ansprüche aus einem Reisevertrag verurteilte das Amtsgericht München eine Reiseveranstalterin zur Zahlung einer Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 719,50 EUR.

Der Münchner Kläger hatte im April 2022 bei der Beklagten über deren Internetportal eine Flugpauschalreise nach Punta Cana in der Dominikanischen Republik über Weihnachten und Silvester 2022 einschließlich Hotelunterkunft und All-Inclusive-Verpflegung zu einem Reisepreis in Höhe von 2.878 EUR gebucht. Wenige Tage nach der Buchung erklärte die Beklagte per E-Mail die Anfechtung des Reisevertrages aufgrund eines nicht näher beschriebenen „Eingabe/Tippfehlers“ und einem sich daraus ergebenden Preisunterschied. Die Beklagte bot dem Kläger an, die Reise zu einem Gesamtpreis von 6.260 EUR wahrzunehmen, was dieser ablehnte. Aufgrund der nicht durchgeführten Reise forderte der Kläger von der Beklagten eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude in Höhe der Hälfte des ursprünglich gebuchten Reisepreises.

Kalkulationsirrtum ist unbeachtlich

Das Amtsgericht erachtete die Klage für teilweise begründet. Ein Anfechtungsgrund, insbesondere ein Erklärungsirrtum lag nicht vor. Sowohl Willensäußerung als auch Willensbildung der Beklagten waren fehlerfrei, es lag lediglich ein unbeachtlicher Kalkulationsirrtum vor. Der Irrtum erfolgte hier nicht bei Abgabe der Willenserklärung der Beklagten gegenüber dem Kläger, sondern es handelt sich um einen Irrtum in der Erklärungsvorbereitung nämlich bei der Berechnung des Gesamtreisepreises. Die Beklagte hat, aufgrund der von der Firma M. falsch eingegebenen und anschließend falsch übermittelten Daten, ihren Willen bezüglich des Gesamtpreises falsch gebildet, da eine Kalkulationsgrundlage fehlerhaft war. Wie vom Zeugen R. glaubhaft ausgesagt, übermittelt die Firma M. die Einkaufspreise pro Person in USD an das System der Beklagten. Dort werden die Preise vom System in Euro umgerechnet und anschließend mit der Verkaufsmarge der Beklagten versehen. Die so gefundenen Verkaufspreise werden dann vom System der Beklagten an C. [das von der Beklagten betriebene Buchungsportal] weiter übermittelt und verarbeitet. Entsprechend des vom Kläger bei Buchung angegebenen Zeitraums und der ausgewählten Zimmerkategorie, wird dann der Verkaufspreis vom System berechnet und dem Kunden angezeigt. Die von der Firma M. übermittelten Daten dienten der Beklagten daher lediglich als Kalkulationsgrundlage für die Berechnung des Gesamtreisepreises. Der Irrtum entstand schon nicht bei der Beklagten, sondern bei einem Mitarbeiter der Firma M. Der Irrtum betraf auch nur einen Rechnungsfaktor, aus dem der Reisepreis später vom System der Beklagten gebildet wurde. Bei Buchung wurde dann entsprechend den Eingaben des Klägers bzgl. Zimmerkategorie und Reisezeitraum aus den für verschiedene Reisezeiträume festgesetzten Einzelpreisen der Gesamtreisepreis vom System errechnet. Diese Konfiguration erfolgte so wie vom System vorgesehen. Der dem Kläger gegenüber angegebenen Reisepreis entsprach den Konfigurationsvorgaben der Beklagten. Nachdem der Reisende keinen Einblick in die Kalkulation des Reisepreises hat, liegt hier nur ein interner Kalkulationsirrtum vor, der als Motivirrtum unbeachtlich ist. Ein Anfechtungsgrund stand der Beklagten daher nicht zu.

Entschädigung in Höhe von 25 % angemessen

Der Kläger kann nach §§ 651i Abs. 2 Nr. 7, 651n Abs. 2 BGB Entschädigung in Geld verlangen. Der Anspruch besteht jedoch nur in der Höhe von 719,50 €. Die Höhe des Entschädigungsanspruchs aus § 651n Abs. 2 BGB richtet sich nach einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Maßgebliches Kriterium kann dabei jedenfalls der tatsächlich vereinbarte Reisepreis sein, da dieser regelmäßig zeigt, wie viel Geld der mit der geplanten Reise verbundene immaterielle Gewinn dem Reisenden wert ist; hier 2.878,00 €. Jedoch sind auch sonstige Umstände zu berücksichtigen. Hier erfolgte die Mitteilung der Beklagten, die Reise nicht zum gebuchten Preis durchführen zu wollen, nur wenige Tage nach der Buchung und mehr als halbes Jahr vor dem geplanten Reiseantritt. Der Kläger hatte somit noch nicht lange Zeit mit Vorfreude und Planung auf die gebuchte Reise verbringen können. Er hatte auch noch ausreichend Zeit sich um eine Alternativreise für den geplanten Weihnachtsurlaub zu bemühen. Das Gericht hält daher eine Entschädigung in Höhe von 25 % des Urlaubspreises für angemessen und ausreichend.

Amtsgericht München, ra-online (pm/ab)

Familienrecht [22.09.2023]

Nicht sorgeberechtigter Kindesvater muss bei Entscheidung über Namensänderung des Kindes angehört werden

Ausnahme nur bei Vorliegen von schwerwiegenden Gründen

Ein Kindesvater muss auch dann gemäß § 160 Abs. 1 FamFG bei einer Entscheidung zur Namensänderung angehört werden, wenn er nicht sorgeberechtigt ist. Davon kann gemäß § 160 Abs. 3 FamFG nur bei Vorliegen von schwerwiegenden Gründen abgesehen werden. Dies hat das Oberlandesgericht Brandenburg entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Seit dem Jahr 2014 lebten die im Jahr 2011 geborene Zwillinge bei Pflegeeltern in Brandenburg. Sowohl die Kindesmutter als auch der Kindesvater hatten nicht mehr die elterliche Sorge inne. Im Dezember 2021 beantragten die Pflegeltern beim Amtsgerichts Senftenberg die Genehmigung zur Beantragung der Änderung des Familiennamens der Kinder. Nachdem das Gericht sämtliche Beteiligten, bis auf den Kindesvater, angehört hatte, gab es dem Antrag statt. Dagegen richtete sich die Beschwerde der Kindesmutter.

Fehlende Anhörung des Kindesvaters begründet schwerwiegenden Verfahrensmangel

Das Oberlandesgericht Brandenburg sah in der fehlenden Anhörung des Kindesvaters einen schwerwiegenden Verfahrensmangel. Der Kindesvater hätte trotz dessen, dass er nicht das Sorgerecht hat, gemäß § 160 Abs. 1 FamFG angehört werden müssen. Unerheblich sei auch, dass der Familienname der Kinder nicht mit dem Familiennamen des Kindesvaters übereinstimme. Die Anhörungspflicht knüpfe allein an die rechtliche Elternstellung und nicht an eine unmittelbare Rechtsbetroffenheit.

Kein Absehen von Anhörung des Kindesvaters

Von der Anhörung habe nicht gemäß § 160 Abs. 2 Satz 2 FamFG abgesehen werden können, so das Oberlandesgericht, da sich diese Vorschrift nur auf Verfahren betreffend der Vermögenssorge des Kindes beziehe. Ein schwerwiegender Grund, der gemäß § 160 Abs. 3 FamFG eine Anhörung des Kindesvaters rechtfertigen könne, liege nicht vor.

Vorinstanz:
Amtsgericht Senftenberg, Beschluss v. 24.11.2022

Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema:
Kindeswohl für die Änderung des Familiennamens eines Pflegekindes maßgeblich (Verwaltungsgericht Aachen, Urteil - 6 K 1114/06 -)

Oberlandesgericht Brandenburg, ra-online (vt/rb)

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