Strafrecht [04.07.2025]
Weimarer Ex-Familienrichter - "Maskenrichter" - scheitert mit Verfassungsbeschwerde gegen Verurteilung
Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen Verurteilung wegen Rechtsbeugung
Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde eines Richters gegen seine Verurteilung wegen Rechtsbeugung nicht zur Entscheidung angenommen.
Nach den fachgerichtlichen Feststellungen erließ der als Familienrichter tätige Beschwerdeführer im April 2021 eine einstweilige Anordnung, mit der er es den Leitungen und Lehrkräften zweier Schulen untersagte, einzelne der seinerzeit geltenden Infektionsschutzmaßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus gegenüber den dort unterrichteten Kindern durchzusetzen. Der Beschwerdeführer habe zielgerichtet darauf hingewirkt, dass ein entsprechendes Verfahren in seinen geschäftsplanmäßigen Zuständigkeitsbereich gelangen werde, über eine von ihm mitbearbeitete Anregung entschieden und dabei das ihm übertragene Richteramt zielgerichtet benutzt und missbraucht.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das seine Revision verwerfende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH bestätigt Verurteilung eines Richters am Amtsgericht wegen Rechtsbeugung nach Untersagung von Coronaschutzmaßnahmen (Bundesgerichtshof, Urteil v. 20.11.2024 - 2 StR 54/24 -)). Er rügt einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz in der Ausprägung des Willkürverbots, da der Bundesgerichtshof ohne ausreichende Begründung von seinen in ständiger Rechtsprechung etablierten Maßstäben zum Tatbestand der Rechtsbeugung abgewichen sei.
Die Kammer hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Beschwerdeführer den behaupteten Verstoß gegen das Willkürverbot nicht schlüssig aufgezeigt hat.
Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)
Rundfunkbeitragsrecht [04.07.2025]
Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen Rundfunkbeitrag wegen behaupteter Verletzung der Gebote der Staatsferne und Transparenz
Mit Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die Heranziehung des Beschwerdeführers zum Rundfunkbeitrag richtete. Der Beschwerdeführer machte unter anderem geltend, die Aufsichtsgremien des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) hätten in den Jahren 2014 und 2015 nicht den der Vielfaltsicherung dienenden Geboten der Staatsferne und Transparenz genügt, sodass hierdurch auch der die Erhebung des Rundfunkbeitrags rechtfertigende individuelle Vorteil gefehlt habe. Er sei daher unter anderem in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt. Die Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Sie ist unzulässig, da insbesondere die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht gewahrt ist.
Der MDR setzte in den Jahren 2014 und 2015 gegenüber dem Beschwerdeführer Rundfunkbeiträge fest. Die gegen die Beitragsbescheide eingelegten Widersprüche blieben erfolglos, die vom Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klage gegen die Bescheide wurde abgewiesen. Zwar sei mit dem Beschwerdeführer davon auszugehen, dass der MDR-Staatsvertrag in der hier maßgeblichen Fassung vor dessen Änderung im Jahr 2021 keine dem verfassungsrechtlichen Gebot der Staatsferne genügende Zusammensetzung der Aufsichtsgremien Rundfunkrat und Verwaltungsrat vorgesehen habe. Dies lasse die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beitragsbescheide jedoch unberührt. Die Beitragsbescheide seien auch im Übrigen rechtmäßig. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Sächsische Oberverwaltungsgericht ab.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die gerichtlichen Entscheidungen.
Er macht unter anderem geltend, es habe im für die Beitragserhebung relevanten Zeitraum an dem die Beitragspflicht rechtfertigenden individuellen Vorteil in Gestalt der Möglichkeit der Nutzung eines auf Vielfalt und Ausgewogenheit ausgerichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramms gefehlt, weil die Aufsichtsgremien des MDR nicht den Geboten der Staatsferne und Transparenz genügt hätten. Dabei wird im Einzelnen etwa aufgezeigt, weshalb die verfassungsrechtlichen Transparenzanforderungen verfehlt worden seien. Dies werde insbesondere an der Behandlung der Programmbeschwerden deutlich. Anzahl, Gegenstand und Behandlung dieser Beschwerden würden der Öffentlichkeit vorenthalten, obwohl es sich um einen „Marker“ für die Qualität und Ausgewogenheit der Berichterstattung handele. Die Sitzungen der für die Programmbeschwerden zuständigen Ausschüsse seien generell nicht öffentlich; es würden weder Tagesordnungen oder Anwesenheitslisten noch Sitzungsprotokolle veröffentlicht. Förmliche Programmbeschwerden würden unter Ausschluss der Öffentlichkeit in nahezu allen Fällen negativ beschieden.
Der Beschwerdeführer sieht sich daher durch die Beitragserhebung unter anderem in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Es ist fraglich, ob die Rüge, die Aufsichtsgremien des MDR hätten den Geboten der Staatsferne und Transparenz nicht genügt mit der Folge, dass es an einem die Erhebung des Rundfunkbeitrags rechtfertigenden individuellen Vorteil gefehlt habe, das Darlegungsgebot wahrt.
Der Beschwerdeführer legt zwar unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachvollziehbar dar, dass die Gebote der Staatsferne und Transparenz der Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten dazu dienten, die Vielfalt und Ausgewogenheit des Programmangebots zu sichern und die Möglichkeit zur Nutzung eines entsprechend ausgestalteten Programms wiederum den die Beitragserhebung rechtfertigenden individuellen Vorteil begründe. Er zeigt auch auf, welche Folgen es aus seiner Sicht für die Erhebung des Rundfunkbeitrags hat, wenn die Aufsichtsgremien einer Rundfunkanstalt die gerade der Sicherung der Programmvielfalt dienenden organisations- und verfahrensrechtlichen Anforderungen an eine plurale, staatsferne Zusammensetzung ihrer Mitglieder und eine transparente, die Öffentlichkeit einbeziehende Wahrnehmung ihrer Aufgabe insbesondere bei der Behandlung der Programmbeschwerden verfehlen. Danach spreche in solchen Fällen eine Vermutung dafür, dass die Vielfalt und Ausgewogenheit des Programmangebots auch tatsächlich nicht gewährleistet sei und daher die Möglichkeit zur Nutzung dieses Angebots keinen die Beitragserhebung rechtfertigenden Vorteil biete.
Ob der vom Beschwerdeführer aufgezeigte Maßstab genügt um darzulegen, dass es an einer Programmvielfalt fehlte und welche Folgen sich hieraus für die Erhebung des Rundfunkbeitrags ergeben, kann aber letztlich dahinstehen, weil jedenfalls die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht gewahrt ist. Der Beschwerdeführer hat diesen Punkt nicht zum Gegenstand des Antrags auf Zulassung der Berufung gemacht. Das Oberverwaltungsgericht war deshalb gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung von vornherein gehindert, das Berufungsverfahren aus diesem Grund zuzulassen und sodann in diesem Verfahren zu klären, ob es im beitragsrechtlich maßgeblichen Zeitraum mangels staatsfern zusammengesetzter und transparent agierender Aufsichtsgremien des MDR an einer organisations- und verfahrensrechtlichen Sicherung der Vielfalt und Ausgewogenheit des Programmangebots fehlte, und wenn ja, ob deshalb das Fehlen eines die Beitragserhebung rechtfertigenden individuellen Vorteils ohne Rücksicht auf die tatsächliche Programmgestaltung festgestellt oder etwa nach Maßgabe abgesenkter Darlegungsanforderungen überprüft werden kann.
Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)
Mietrecht [04.07.2025]
Aufforderung zur Übersendung von Abrechnungsbelegen stellt regelmäßig kein wirksames Einsichtsnahmeersuchen dar
Anspruch auf Übersendung von Belegkopien nur bei Unzumutbarkeit der Einsicht vor Ort
Die Aufforderung des Mieters zur Übersendung von Abrechnungsbelegen stellt regelmäßig kein wirksames Einsichtsnahmeersuchen dar. Ein Anspruch auf Übersendung von Belegkopien besteht nur dann, wenn die Einsichtnahme vor Ort beim Vermieter aufgrund der Entfernung unzumutbar ist. Dies hat das Landgericht Hanau entschieden.
In dem zugrunde liegenden Fall bestand zwischen den Parteien eines Mietvertrags über eine Wohnung in Hanau Streit darüber, ob der Mieter eine wirksame Aufforderung zur Einsichtnahme von Abrechnungsbelegen zur Betriebskostenabrechnung 2021 gestellt hat. Der Mieter hatte gefordert, dass ihm die Belege zur Belegeinsicht übersandt werden und verwies darauf, dass ihm die Hausverwaltung die Belege für das Jahr 2020 per E-Mail zugesandt hatte. Nachdem das Amtsgericht Hanau über den Fall entschieden hatte, musste das Landgericht Hanau eine Entscheidung treffen.
Kein Vorliegen eines wirksamen Einsichtnahmeverlangens
Das Landgericht Hanau entschied gegen den Mieter. In der Aufforderung zur Übersendung der Belege liege kein wirksames Einsichtnahmeverlangen. Allein aus der einmaligen Übersendung von Belegen könne nicht darauf geschlossen werden, dass ihm ein Recht zur Übersendung der Belege zustehe. Der Vermieter sei zudem nicht verpflichtet, den Mieter auf die Unzulässigkeit des Übersendungsverlangens hinzuweisen. Vielmehr habe es dem Mieter oblegen, sich um einen Termin zur Einsichtnahme in die Belege zu kümmern und erneut Kontakt zum Vermieter oder der Hausverwaltung aufzunehmen.
Keine Unzumutbarkeit der Einsichtnahme vor Ort
Nach Auffassung des Landgerichts sei es dem Mieter nicht unzumutbar gewesen, die Belege in den Räumen des Vermieters bzw. der Hausverwaltung einzusehen. Die zwischen der Wohnung des Mieters und den Geschäftsräumen des Vermieters liegende Entfernung von 46 km seien ohne großen Zeitaufwand mit öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln zurückzulegen (vgl. auch Mieter ist es zumutbar zur Einsicht in die Belege einen Weg bis zu 30 km Luftlinie zurückzulegen (Amtsgericht Halle (Saale)). So könne die Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln in weniger als eine Stunde und mit dem Auto in noch kürzerer Zeit zurückgelegt werden.
Vorinstanz: Amtsgericht Hanau, Urteil v. 27.05.2024 - 34 C 18/23 -
Weitere Entscheidungen zu diesem Thema: Mieter muss sich um Termin zur Einsichtnahme in Belege zur Betriebskostenabrechnung bemühen (Landgericht Frankfurt am Main, Urteil - 2-07 O 121/14 -)Anspruch auf Übersendung von Belegen bei 500 km entfernten Vermieter (Amtsgericht Rheine, Urteil - 10 C 156/22 -)
Landgericht Hanau, ra-online (vt/rb)
Erbrecht / Arztrecht [03.07.2025]
Patient hat Testierfreiheit und darf seinem Hausarzt ein Grundstück versprechen
BGH zur Wirksamkeit einer Zuwendung von Todes wegen an einen den Erblasser behandelnden Arzt trotz berufsständischen Zuwendungsverbotes
Der unter anderem für das Erbrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine Zuwendung von Todes wegen zugunsten des Hausarztes des Erblassers nicht deshalb unwirksam ist, weil sie gegen ein den Hausarzt treffendes berufsständisches Zuwendungsverbot verstößt.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Hausarztes, der den Erblasser seit 2015 behandelt hatte. Im Januar 2016 schloss der Erblasser mit dem Hausarzt sowie der ihn pflegenden Beklagten und deren Tochter vor einem Notar eine als "Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrag" bezeichnete Vereinbarung. In dieser verpflichtete sich der Hausarzt gegenüber dem Erblasser zu verschiedenen ärztlichen Leistungen, unter anderem zu medizinischer Beratung und Behandlung, zu Hausbesuchen und telefonischer Erreichbarkeit sowie zu Betreuungsleistungen im häuslichen Bereich. Als Gegenleistung sollte der Arzt im Falle des Todes des Erblassers das Eigentum an einem dem Erblasser gehörenden Grundstück erhalten.
Im März 2016 verfügte der Erblasser in einem notariellen Testament, dass ihn die Beklagte hinsichtlich seines im Vertrag vom Januar 2016 nicht erfassten Vermögens allein beerben solle.
Im Januar 2018 verstarb der Erblasser. Die Beklagte nahm seinen Nachlass in Besitz. Im Dezember 2019 wurde über das Vermögen des Hausarztes das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger hat als Insolvenzverwalter die Beklagte auf Übertragung des dem Arzt in der Vereinbarung vom Januar 2016 zugewandten Grundstücks an die Insolvenzmasse in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt.
Das Berufungsgericht hat die Zuwendung des Grundstücks an den Hausarzt als Vermächtnis ausgelegt. Aus diesem könne der Kläger aber zugunsten der Insolvenzmasse keinen Anspruch aus § 2174 BGB herleiten, denn es sei gemäß den §§ 134, 2171 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot unwirksam. Dem Hausarzt sei ein standesrechtlicher Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 der Berufsordnung der örtlich zuständigen Ärztekammer Westfalen-Lippe (BO-Ä) vorzuwerfen. Mit dem ihm zugewandten Grundstück habe er sich von einem Patienten einen anderen Vorteil im Sinne dieser Regelung versprechen lassen. Die Unwirksamkeit der Vermächtnisanordnung schränke auch die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit des Erblassers nicht ungerechtfertigt ein.
Mit seiner vom IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Die Zuwendung des Grundstücks an den Hausarzt im Wege des Vermächtnisses ist nicht wegen Verstoßes gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä unwirksam. Der Senat hat nicht festgestellt, ob das Vermächtnis diese Vorschrift tatsächlich verletzt. Denn ein - unterstellter - Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä führt nicht zur Unwirksamkeit des Vermächtnisses gemäß den §§ 134, 2171 Abs. 1 BGB.
§ 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä regelt als berufsständische Vorschrift das Verhältnis zwischen dem Arzt und der für ihn zuständigen Landesärztekammer. Die Vorschrift verbietet deshalb nur ein Verhalten des Arztes, dem es nicht gestattet ist, Geschenke oder andere Vorteile zu fordern, sich versprechen zu lassen oder anzunehmen. Nicht geschützt von diesem Verbot wird hingegen der zuwendende Patient oder die Erwartung seiner Angehörigen, diesen zu beerben. Die Vorschrift zielt darauf ab, die Unabhängigkeit des behandelnden Arztes sowie das Ansehen und die Integrität der Ärzteschaft zu sichern. Dies kann durch berufsrechtliche Sanktionen von Seiten der Ärztekammer ausreichend sichergestellt werden.
Auch die in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Testierfreiheit des Patienten verbietet es, ein zugunsten des behandelnden Arztes angeordnetes Vermächtnis wegen Verstoßes gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä für unwirksam zu halten. Für eine Beschränkung der Testierfreiheit des Patienten fehlt schon eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Gesetzgeberische Entscheidungen, die für die Ausübung von Grundrechten wie der Testierfreiheit wesentlich sind, müssen durch den Gesetzgeber in einem Parlamentsgesetz getroffen werden und dürfen nicht anderen Normgebern, wie hier einem Berufsverband, überlassen werden. Darüber hinaus ist der Eingriff in die Testierfreiheit des Patienten unverhältnismäßig. Das Interesse des Patienten, eine Verfügung von Todes wegen frei von offenem oder verstecktem Druck des ihn behandelnden Arztes errichten zu können, kann den Eingriff nicht rechtfertigen, weil dieses Interesse durch § 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä nicht geschützt wird.
Der Senat hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben. Er hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das den Parteien noch Gelegenheit geben muss, zu einem von ihm bislang nicht geprüften Verstoß der Vereinbarung des Vermächtnisses in dem Erbvertrag gegen die guten Sitten vorzutragen.
Vorinstanzen: Landgericht Bielefeld, Urteil v. 18.01.2024 - 19 O 124/22 -Oberlandesgericht Hamm, Beschluss v. 26.06.2024 - I-10 U 14/24 -
Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)
Medienrecht [03.07.2025]
Meta verstößt mit Facebook gegen Transparenzgebot im Medienstaatsvertrag
Verwaltungsgericht lehnt Eilantrag von Meta zu Transparenzregeln ab
Das Verwaltungsgericht Schleswig hat einen einstweiligen Rechtsschutzantrag der Meta Platforms Ireland Limited (Antragstellerin) gegen einen Bescheid der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (Antragsgegnerin) abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hatte gegenüber Meta mit Bescheid vom 2. Oktober 2024 beanstandet, dass sie mit ihrem Dienst Facebook gegen Transparenzpflichten aus dem Medienstaatsvertrag verstoße. Sie informiere Nutzer u. a. nicht leicht genug wahrnehmbar über die Kriterien und Funktionsweisen der Algorithmen, die über gezeigte Beiträge, deren Auswahl und Gewichtung im News-Feed entscheiden. Die Antragsgegnerin forderte Meta unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, die Verstöße kurzfristig zu beheben. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit diversen Einwänden; u. a. verstießen die maßgeblichen Vorschriften des Medienstaatsvertrags (MStV) zum Transparenzgebot gegen Europarecht (vgl. Transparenzangaben nach dem Medienstaatsvertrag möglicherweise europarechtswidrig (Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss v. 17.12.2024 - VG 32 L 221/24 -)).
Richter: Möglicher Verstoß der Regelungen gegen Europarecht kann im Eilverfahren nicht geprüft werden
Das Gericht lehnte den Antrag der Antragstellerin aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung ab. Zwar komme die Kammer bei summarischer Prüfung zu dem Ergebnis, dass der Bescheid formell rechtmäßig sei und die Voraussetzungen für eine Beanstandung vorlägen, da die Antragstellerin den Transparenzpflichten aus § 93 MStV nicht hinreichend nachkomme. Im Eilverfahren lasse sich jedoch die komplexe Rechtsfrage, ob § 93 und § 1 Abs. 8 Satz 1 MStV gegen Unionsrecht verstießen, nicht abschließend beantworten. Die infolge der offenen Erfolgsaussichten vorzunehmende Interessenabwägung falle angesichts der Bedeutung der mit den Transparenzvorschriften geschützten Meinungsvielfalt und demokratischen Meinungsbildungsprozessen, die durch Dienste wie Facebook erheblich mitgestaltet würden, zulasten der Antragstellerin aus. Für die Kammer sei nicht erkennbar gewesen, dass der mit der Transparenz verbundene Aufwand zu besonders tiefgreifenden oder gar unverhältnismäßigen Belastungen der Antragstellerin führen würde.
Die Antragstellerin kann gegen den Beschluss binnen zwei Wochen Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht einreichen.
Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema: Transparenzangaben nach dem Medienstaatsvertrag möglicherweise europarechtswidrig (Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss - VG 32 L 221/24 -)
Verwaltungsgericht Schleswig, ra-online (pm/pt)
Ausländerrecht [03.07.2025]
Zu Recht ausgewiesener Sexualstraftäter darf trotz Psychose in die Türkei abgeschoben werden
Schutz der öffentlichen Sicherheit geht vor
Ein Türke, der wegen jahrelangen sexuellen Missbrauchs seiner anfangs zehnjährigen Stieftochter eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verbüßt hat, darf aufgrund seiner zu Recht erfolgten Ausweisung in die Türkei abgeschoben werden. Das hat die 24. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf entschieden und damit einen Eilantrag des Ausländers gegen die Stadt Moers im Wesentlichen abgelehnt.
Zu Begründung hat die Kammer ausgeführt: Von dem Ausländer, der auch nach seiner bevorstehenden Haftentlassung eine elektronische Fußfessel tragen muss, geht eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus, die ein Grundinteresse der deutschen Gesellschaft berührt. Trotz seiner psychischen Erkrankung, deren Therapie er in Deutschland weitgehend verweigert hat, darf er in die Türkei abgeschoben werden. Eine entsprechende Behandlung steht auch in der Türkei zur Verfügung und die Ausländerbehörde hat ausreichende Vorkehrungen getroffen, um Gefahren für den Ausländer während der Abschiebung zu begegnen.
Schutz der öffentlichen Sicherheit geht vor den Interessen des Antragstellers
Wegen der von ihm ausgehenden schwerwiegenden Gefahr müssen die Interessen des Ausländers, der sich seit ca. 30 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufgehalten hatte, sowie seiner Familie gegenüber dem Schutz der öffentlichen Sicherheit zurücktreten. Nach Ausreise gilt für den Ausländer für die Dauer von zehn Jahren ein Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Tatsächliche Abschiebung noch ungewiss
Ob der Ausländer tatsächlich noch aus der in Kürze endenden Strafhaft heraus abgeschoben werden kann, hängt nun davon ab, ob die türkischen Behörden ihm ein hierfür notwendiges Passersatzpapier ausstellen.
Gegen den Beschluss kann Beschwerde erhoben werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
Verwaltungsgericht Düsseldorf, ra-online (pm/pt)
Naturschutzrecht [02.07.2025]
Gericht stärkt Artenschutz und stoppt Fischotter-Abschuss
Allgemeinverfügung zum Fischotterabschuss in Oberfranken vorläufig außer Vollzug gesetzt
Die Allgemeinverfügung der Regierung von Oberfranken über Gebiete und
Höchstzahlen für Maßnahmen gegen Fischotter wird vorläufig außer Vollzug gesetzt. Dies hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) entschieden, da die Allgemeinverfügung voraussichtlich rechtswidrig ist.
Die Regierung von Oberfranken erließ im Februar 2025 eine Allgemeinverfügung, mit der im Bereich der drei oberfränkischen Landkreise Bayreuth, Hof und
Wunsiedel im Fichtelgebirge und im Bereich der Stadt Hof Gebiete und Höchstzahlen für Maßnahmen gegen Fischotter bis hin zur Tötung festgesetzt wurden.
Einen dagegen gerichteten Eilantrag einer anerkannten Umweltvereinigung lehnte das erstinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht Bayreuth ab. Es verwies
darauf, dass eine mögliche Rechtsverletzung allein auf Grundlage der Allgemeinverfügung nicht in Betracht komme. Die Allgemeinverfügung eröffne für die
unteren Naturschutzbehörden bloß eine Zuständigkeit, Folgemaßnahmen zu
treffen, habe für die Folgemaßnahmen keine Bindungswirkung und begrenze nur
örtlich und zahlenmäßig die Maßnahmemöglichkeiten.
Der BayVGH teilt diese Rechtsauffassung nicht. Er gab der Beschwerde der
Umweltvereinigung gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Verwaltungsgerichts statt und ordnete an, dass die Allgemeinverfügung bis zu einer Entscheidung über die Hauptsache nicht vollzogen werden darf. Denn die Allgemeinverfügung habe insoweit eine Regelungswirkung, als eine Zuständigkeit von der
Regierung auf die unteren Naturschutzbehörden übertragen werde. Außerdem
bewirke die Allgemeinverfügung, dass innerhalb der festgesetzten Gebiete und
der Höchstzahlen die Entscheidung über Maßnahmen nicht mehr offen sei. Deshalb müsse eine gerichtliche Überprüfung bereits gegen die Allgemeinverfügung,
nicht erst gegen die Folgemaßnahmen möglich sein. In der Sache erweise sich
die Allgemeinverfügung voraussichtlich als rechtswidrig, da den ausgewiesenen
Gebieten durch Fischotter entstandene Schäden nicht sicher zugeordnet werden
könnten. Zusätzlich sei der Erhaltungszustand des Fischotters in Oberfranken
mit einer geschätzten Populationszahl von 176 Tieren nicht als „günstig“ einzustufen. Es bestehe Ungewissheit, ob die jährlich möglichen 10 Entnahmen einer
Verbesserung des Erhaltungszustands entgegenstünden. Denn die der Allgemeinverfügung zugrundeliegende Begründung, dass mit einem jährlichen Zuwachs der Otterpopulation von 12,7% zu rechnen sei, sei nicht nachvollziehbar.
Somit dürften durch die Allgemeinverfügung keine Ausnahmen vom strengen
Artenschutz der Fischotter gemacht werden.
Die Entscheidung des BayVGH ist unanfechtbar.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, ra-online (pm/pt)
Verwaltungsrecht [02.07.2025]
Privatperson kann nicht gegen geplante Schließung eines Krankhauses klagen
Eilantrag gegen Schließung des Klinikums Mittelmosel in Zell unzulässig
Der Eilantrag einer Privatperson gegen die von der Betreiberin beabsichtigte Schließung des Klinikums Mittelmosel in Zell zum 30. Juni 2025 hatte vor dem Verwaltungsgericht Koblenz keinen Erfolg.
Der Antragsteller wollte im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig feststellen lassen, dass bei Schließung des Krankenhauses seine Notfallversorgung nicht mehr ausreichend sichergestellt sei. Sein gegen das Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch das Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit, gerichteter Antrag wurde von den Koblenzer Richtern als unzulässig abgelehnt.
Dem Antragsteller fehle die erforderliche Antragsbefugnis, da er in Bezug auf die beabsichtigte Schließung keine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen könne. Staatliche Stellen träfen zwar Schutzpflichten, die sich hier aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableiten ließen. Hieraus ergebe sich auch die Verpflichtung des Staates, ein funktionsfähiges Gesundheitssystem zu errichten. Diesem sei jedoch ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt, weshalb der Antragsteller allenfalls verlangen könne, dass nicht nur solche Vorkehrungen getroffen würden, die zum Schutz des Grundrechts völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich seien. Ein Anspruch auf bestmöglichen Schutz von Leben und Gesundheit bestehe nicht; der Umfang des Schutzes bleibe insoweit eine politische Entscheidung.
Auch nach der Schließung bestehe jedoch mit den Krankenhäusern in Simmern, Wittlich und Cochem sowie dem ambulanten Gesundheitszentrum in Zell, das von der bisherigen Krankenhausbetreiberin fortgeführt werde, nach verfassungsrechtlichen Maßstäben eine ausreichende Gesundheits- und Notfallversorgung. Völlig ungeeignete oder unzulängliche Vorkehrungen habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.
Gegen den Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zu.
Verwaltungsgericht Koblenz, ra-online (pm/pt)
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